Europas
Studenten- und Arbeiterbewegung besaß Ende der 60er nur segmentarisch ein Äquivalent in den USA. Dort stellte man das kapitalistische System vom Grundsatz her kaum infrage, sondern beschränkte sich
weitgehend auf sytemimmanente Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen. „Make Love - Not War!“ (nicht selten als „freie Liebe“ interpretiert), Konsumverzicht und die endgültige Beseitigung der
rassistischen Unterdrückung waren in den Vereinigten Staaten wohl schon die radikalsten politischen Parolen jener Phase. Sie wurden dort auch weitaus stärker vom studentischen Mittelstand als von der
weitgehend unpolitischen Arbeiterschaft eingebracht und verfochten. Vor allem innerhalb der weißen Rasse entwickelte sich auf dieser Basis die Hippie-Bewegung (auch gern Blumenkinder genannt), - die
afro-amerikanische Bevölkerung fokussierte dagegen mehr auf einen traditionelleren religiösen Ansatz. Mit dem Musical HAIR und dem Woodstock-Festival fanden dann wohl beide Ströhmungen ihre
gemeinsamen musikalischen Höhepunkte.
Weiterer sichtbarer wie hörbarer Beweis dieses Solidarisierungs- und Verschmelzungsprozesses waren die schwarzen Edwin Hawkins Singers mit ihrem Gospel-Hit OH, HAPPY DAY einerseits und die weiße
Interpretin Melanie (Safka) andererseits mit ihrem Folk/Pop/Rock-Gemisch, die gemeinsam die Erfolgssingle LAY DOWN (CANDLES IN THE RAIN) einspielten. Schon 1970 stieg die Bedeutung religiöser Inhalte
jedoch auch dramatisch innerhalb der weißen amerikanischen Jugendkultur an, während die politische Ausrichtung gleichzeitig an Bedeutung verlor. Aus der Hippie-Bewegung entwickelten sich zunächst an
der Westküste Nordamerikas, dann landesweit und schließlich auch im sich ebenfalls mehr und mehr wieder entpolitisierenden Europa die JESUS PEOPLE. Es gab 1970 – 1972 unendlich viele
Massenveranstaltungen ihrer Anhänger dies- und jenseits des Atlantiks. Dabei übernahmen die JESUS PEOPLE einen Teil der Hippie-Ideologie. Ihre Hardliner lebten ebenfalls in Kommunen, aus der von
vielen „Blumenkindern“ noch propagierten „freien Liebe“ wurde jedoch die freie Liebe zu Gott und die Nächstenliebe. Vom Lebensstil her versuchte man sich am Urchristentum zu orientieren. Ein
beachtlicher Teil hatte ferner einen starken Glauben an das Übernatürliche bzw. an das was heute dem Bereich der Esoterik zugerechnet wird, - Zeichen, Wunder, Heilung, Besessenheit und man
praktizierte auch schon mal Exorzismus.
Ihren Sound Track lieferte das amerikanische One Hit-Wunder OCEAN mit PUT YOUR HAND IN THE HAND, der sich auch in Deutschland wie warme Semmeln verkaufte. Von daher war es nicht weiter verwunderlich,
dass die deutsche Plattenindustrie durchaus geneigt war, ein entsprechendes Projekt in der eigenen Landessprache aufzulegen. Das traf sich zudem natürlich hervorragend mit den ohnehin bestehenden
christlichen Überzeugungen DRAFI DEUTSCHERs sowie seiner und der Neigung der Companies, ihn zu dieser Zeit noch gern hinter einem Pseudonym oder einem Bandprojekt zu verstecken. Man verpasste dieser
Erfolg versprechenden Combo den Namen WIR und machte dafür mit Drafi und Tony Sheridan als Duo Demo-Aufnahmen. Es kam jedoch zwischen den beiden Musikern zu Differenzen und so startete man WIR
stattdessen mit folgendem Line Up: Drafi und Karin Deutscher, Tina und Pete Rainford, Günther Beyer, Norman Ascot, Peter Shaper sowie Claudia Gordon. Alternativ zu Claudia Gordon ist nach Auskunft
von Tina Rainford auch von einer gewissen Lydia – Nachname unbekannt – die Rede. Es handelte sich bei WIR nun de facto um kein festes Ensemble mehr, sondern um eine Studioformation bestehend aus
jeweils drei weiblichen und vier männlichen Sängern, die in unterschiedlicher Konstellation und meist an den Bedürfnissen Drafi Deutschers orientiert für Aufnahmen zu seiner Unterstützung ins Studio
geholt wurden. Drafi selbst trat auch hier auf keinem der Plattencover in Erscheinung. Es wurden (wenn überhaupt) lediglich die übrigen 7 Mitwirkenden präsentiert.
Man veröffentlichte ab 1971 das Album DIE WELT VON HEUT in zwei verschiedenen Versionen (siehe unten) sowie 6 Singles, von denen der Titelsong des Albums und DAVID UND GOLIATH sich in den Hitlisten
festsetzten. Mit dem zuletzt genannten Song gab die Band daher auch 1973 ein Gastspiel in dem Constantin-Film "Blau blüht der Enzian". Musikalisch war WIR eine bunte Mischung aus Drafi-Kompositionen
(Ich liebe Dich), Schlagermusik mit deutschen (meist eben religiösen) Texten (Jesus, David und Goliath) und vorrangig religiös eingedeutschten internationalen Hits (Die Welt von heut/I Am…I Said,
Butterfly, Che Sara etc.). Mit dem Ende der JESUS PEOPLE und den allgemein wieder abflauenden religiösen Massenbewegungen im Jahre 1973 wurde dieses Bandprojekt allerdings wieder eingestellt.
DIE BEIDEN VERSIONEN DES ALBUMS:
DIE WELT VON HEUT
WIR
LP METRONOME LMLP 15.417
P 1971
Seite 1
1. Die Welt von heut' 3:16
2. Bunt sind die Blumen 3:59
3. Butterfly 3:29
4. Wie schade 5:18
5. Monika 4:19
6. Ich liebe Dich 4:27
Seite 2
1. Wir glauben an die Liebe 3:20
2. Che Sara 2:41
3. Mary 4:00
4. Singing A Song 2:40
5. San Antonio 3:11
6. Gemeinsam 3:20
DIE WELT VON HEUT
WIR
LP METRONOME LMLP 15.462
P 1971
Seite 1
1. David und Goliath 3:46
2. Bunt sind die Blumen 3:59
3. Che Sara 2:41
4. Singing A Song 2:40
5. San Antonio 3:11
6. Ich liebe Dich 4:27
Seite 2
1. Die Welt von heut' 3:16
2. Jerusalem (Pop Concerto) 2:46
3. Wie schade 5:18
4. Jesus 3:39
5. Wir glauben an die Liebe 3:20
6. Gemeinsam 3:20
DIE SINGLES
Die Welt von heut / Bunt sind die Blumen (Ps. Wir)
(Metronome M.25.348)
Wir glauben an die Liebe / San Antonio (Ps. Wir )
(Metronome M 25.349)
Jesus/ Mit Jesus (Ps. Wir)
(Metronome 25.338)
David und Goliath / Jerusalem ( Ps. Wir)
(Metronome M 25.445)
Im Garten Eden / Sha la la - Shalom (Ps. Wir)
(Metronome M 25.538)
Joshua und Jericho / Das Lied unsrer Zeit ( Ps. Wir )
(Metronome M 25.486)
Manfred Schwanbeck
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